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Besonderheiten der indischen Kunst

Im Gegensatz zur westlichen Kunst, die von Innovationen geprägt ist, zeichnet sich die indische Kunst durch ihre Beständigkeit aus. Bestimmte Merkmale, die sich durch alle Gattungen ziehen, bleiben über zwei Jahrtausende hinweg bestehen. In Indien dominiert die religiös motivierte Kunst, obwohl es auch weltliche Kunst gibt. Religion und Alltagsleben bleiben jedoch tief miteinander verwoben.
Die menschliche Figur wird gerne idealisiert. Sie wird meist im Erwachsenenalter dargestellt und zeigt keine Anzeichen von Alterung oder Krankheit. Der menschliche Körper wird verherrlicht. Der Akt wird kaum von einem leichten Kleidungsstück verhüllt. Die Frau zeigt stolz ihre Sinnlichkeit, raffiniert und sanft.
Die indischen Bildhauer und Maler schöpfen munter aus dem Pantheon mit seinen 33 Millionen Göttern. Die große Dreifaltigkeit - Brahma, Vishnu und Shiva - wird jedoch stark bevorzugt. Jeder von ihnen besitzt mehrere Erscheinungsformen und Attribute, die je nach der zu erzählenden Geschichte ausgewählt werden. Hinzu kommen lokale Glaubensvorstellungen, die das Spektrum der Inkarnationen noch erweitern. Die Avatare sind vom Tierreich und den Eigenschaften der jeweiligen Spezies inspiriert. So sind indische Künstler besonders begabt darin, Tiere darzustellen.

Die Sechs Shadangas

Bereits im 1. Jahrhundert wurden in Abhandlungen die Kanons der Darstellung festgelegt. Nach diesen sechs Shadanga muss jeder Künstler seiner Schöpfung die Schönheit der Form, die Harmonie der Proportionen, die Emotion, die Ästhetik, den Realismus und die Ausgewogenheit der Farben verleihen. Dennoch haben Normen die Dynamik und Originalität der indischen Kunst nie behindert. Dasselbe gilt für Fresken, auf denen religiöse Szenen dargestellt werden. In allen Bereichen der Kunst zeigt die indische Kunst einen meisterhaften Sinn für Ausgewogenheit und eine außergewöhnliche Liebe zum Detail.

Indische Skulptur

Die Skulptur nimmt in der indischen Kultur einen wichtigen Platz ein. Bereits in prähistorischer Zeit wurden bescheidene Ikonen aus Terrakotta oder Stuck geformt. Einige Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung wurden die ersten größeren Werke aus Stein gemeißelt und im5. und 6. Jahrhundert aus Bronze. Lange, erzählende Reliefs entfalten sich an den Wänden. Dieses Ausdrucksmittel blieb in Indien bis zum Ende des 8. Jahrhunderts blühend.
Die Skulptur bleibt jedoch untrennbar mit der Architektur verbunden. Zu den unvergesslichen Tempeln Rajasthans gehört der Chaumukha oder "Tempel der vier Gesichter", der aus weißem Marmor mitten im Dschungel im Bezirk Jodhpur errichtet wurde. Die 1444 Säulen, die diese Adinatha gewidmete Kultstätte stützen, sind alle einzigartig. An der Decke oder auf den Säulen sind Tiere und heilige Symbole fein detailliert dargestellt. In dieser wichtigen Stätte des Jainismus aus dem 15. Jahrhundert ist jeder Zentimeter graviert oder geschnitzt.
Der intimere Menal-Schrein beherbergt einen wunderschönen Shiva-Tempel aus dem 12. Jahrhundert. Shiva, der Gott der Zerstörung, wird in zahlreichen Situationen zwischen Göttinnen und Nymphen dargestellt. Zahlreiche Skulpturen veranschaulichen die Positionen des Kâmasûtra. Natürlich zu Bildungszwecken.

Rajput-Malerei

Auf dem Ackerland Rajasthans folgten zahlreiche Reiche und Dynastien aufeinander. Die Malerei entwickelte sich in diesem Bundesstaat stärker als in anderen Teilen Indiens.
Unter der islamisch geprägten Dynastie der Großmoguln (1528-1858) entstanden immer mehr Malerwerkstätten. Jedes Werk ist das Produkt einer Zusammenarbeit. Die Kreationen sind anonym.
Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert setzen sich mehrere Malschulen durch. Die ersten sind die Mewar- und später die Bundi-Schule, die sich auf den Ort der Herstellung beziehen. Diese von der Buchmalerei dominierte Hofkunst ließ sich nach und nach von persischen Miniaturen und der europäischen Druckgrafik inspirieren. Die Rajput-Malerei illustriert den Hinduismus (Rama und Krishna) oder, in geringerem Maße, Gefühle wie die Liebe. Die Figuren, die im Profil betrachtet werden, haben ein riesiges Auge und eine spitz zulaufende Nase. Der Hintergrund ist in kräftigen Farben gehalten und mit Naturelementen verziert.
Unter der Herrschaft von Schah Jahan (1628-1658) waren zwei Genres beliebt: das offizielle Porträt und die Nachtlandschaft. In einem emotionslosen Stil wird der Herrscher in einer starren, stolzen Haltung gezeigt. Es wird jedoch eine reiche Palette verwendet, um seine Autorität auf alle möglichen Arten darzustellen, insbesondere auf einem Globus stehend. Die Maler, die sich von der westlichen Ikonografie inspirieren ließen, führten Engelsfiguren ein, die auf Spruchbändern Oden zu seiner Ehre entrollten. In den Manuskripten tauchen naturalistische Elemente auf, die von europäischen Strömungen inspiriert sind.
Wie man in der Sammlung des Nationalmuseums in Delhi sehen kann, wird die Kunst der Malerei mit seinen Nachfolgern zurückgehen.

Das Taj Mahal

Das Taj Mahal, das weltweit als Symbol für Indien gilt, wurde zwischen 1631 und 1653 in Agra erbaut. Dieses Glanzstück der indo-islamischen Architektur feiert die Liebe des Mogulkaisers Shah Jahan zu Mumtaz Mahal. Das majestätische Gebäude ist nichts anderes als das Mausoleum der dritten Frau des Maharadschas. Mumtaz war in Wahrheit seine erste Liebe, die sein Vater ihm aufgrund seines Ranges verbot zu heiraten. Er zwang ihm zwei Ehefrauen auf, mit denen er seine Ehe nicht vollzog. Als sein Vater starb, konnte der Kaiser endlich mit seiner Geliebten vereint werden. Mumtaz gebar ihm vierzehn Kinder, bevor sie am 17. Juni 1631 starb. Am Boden zerstört von ihrem Tod, verlangte Shah Jahan von seinen Architekten, dass sie ein Gebäude errichteten, das dem Himmel würdig war. Ein Symbol seiner ewigen Liebe.
Heute verleiht der Sonnenauf- und -untergang dem Monument aus weißem Marmor einen romantischen Glanz. Seine mit Steinintarsien verzierten Fassaden spielen mit der Helligkeit.
Shah Jahân war der Initiator eines umfangreichen Bauprogramms. Unter seiner Herrschaft nimmt das Dekor eine völlig neue Dimension an. Jede Oberfläche ist mit Steinen eingelegt oder fein in Stuck gemeißelt. In den wichtigsten Bereichen setzte sich Marmor durch. Das erste Beispiel für ein Gartengrab, das vor dem Taj Mahal errichtet wurde, kann in Delhi besichtigt werden. Das Grabmal von Humayun, ein Juwel der Mogulzeit, wird auf 1560 datiert. Das Innere des achteckigen Grabmals ist mit Stein- und Marmorintarsien auf rotem Sandstein verziert.

Mandana-Tradition

Die Wandmalerei, die wir heute kennenlernen, ist die Fortsetzung einer alten Praxis, der Mandana oder "Dekoration". Diese ausschließlich von Frauen ausgeübte Praxis umfasst die Wanddekoration, "Bhitti Chitra", und die Bodenmalerei, "Bhumi Chitra". Stilisierte geometrische Muster bedecken die Häuser, um sie zu schmücken, zu schützen oder anlässlich ritueller Feiern. Die Fassaden der Häuser sind dagegen mit figurativen Malereien geschmückt. Freiere Szenen kombinieren tierische oder menschliche Figuren mit Pflanzenmotiven. Nicht zu verwechseln mit der spirituellen und meditativen Malerei des Mandala. Diese konzentrischen Bilder, die das Universum repräsentieren, wurden von den drei großen indischen Religionen Buddhismus, Hinduismus und Jainismus übernommen. Auch heute noch dienen sie als Medium für Meditation oder Entspannung.

Zeitgenössische Kunst

Das Ende des 20. Jahrhunderts war von einem Umbruch in der Kunstwelt geprägt. Mehrere Faktoren trugen zum Boom der zeitgenössischen Kunst in Indien bei, darunter auch der wirtschaftliche Aufschwung des Landes. In weniger als zehn Jahren wurden in Delhi und Mumbai mehr als 50 Kunstgalerien gegründet. Aufstrebende Talente haben begonnen, die Aufmerksamkeit des internationalen Marktes zu erregen. Einige von ihnen traten auf den großen internationalen Kunstmessen auf oder erhielten bedeutende Aufträge. Einer der ersten, der minimalistische Bildhauer Anish Kapoor, geboren 1954, ist in den wichtigsten Sammlungen und Kunstmessen der Welt vertreten. Seine Installationen, die Anleihen aus der östlichen und westlichen Kultur nehmen, bleiben nie unbemerkt.
Diese Künstler greifen auf ein Team von Assistenten zurück, um ihre Werke anzufertigen. Aus diesem Grund haben sie sich in Lagerhäusern am Rande der Metropolen niedergelassen. In Delhi haben sie sich die Randstadt Gurgaon ausgesucht, um ihre Ateliers zu eröffnen. Dort trifft man unter anderem Subodh Gupta, den Superstar der zeitgenössischen Kunst. Der 1964 geborene Gupta stammt aus einfachen Verhältnissen. Nach seiner Ausbildung zum Maler experimentierte er mit Fotografie, Skulpturen und Installationen. Heute lebt und arbeitet er in Delhi. Für seine riesigen Installationen benötigt er ein ganzes Team von Handwerkern, darunter auch Metallarbeiter. In seinen Anfängen stellte Subodh Gupta seine Installationen aus traditionellem indischem Geschirr her. Später wurden seine Alltagsgegenstände um das Fünf- bis Zehnfache vergrößert: Teeservice, Türknöpfe und so weiter. All dies sind Erinnerungen an seine Herkunft.
Zahlreiche Festivals beleben die Stadt Delhi. Einige davon stehen unter der Schirmherrschaft der Nazar Foundation. Die von den Fotografen Prashant Panjiar und Dinesh Khanna gegründete Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, die indische Fotografie zu fördern. Zu ihren Mitarbeitern gehörte Kanu Gandhi, der bei einer Ausstellung im Photoink Bilder von seinem Großonkel Mahatma Gandhi teilte. Panjiar wird für seine sozial orientierte Dokumentararbeit gefeiert und beteiligt sich an der Organisation von Festivals, Ausstellungen und Fotopreisen auf der ganzen Welt.

Im Windschatten der Streetart

In Indien ist Street Art eine Lebenseinstellung. Bollywood-Stars werden auf Rikschas gemalt, Werbespots auf Wände und Götter auf Schaufenster, um an das Verbot des Urinierens im öffentlichen Raum zu erinnern. Selbst in den entlegensten Dörfern ist das Malen im Freien eine Tradition.
Das erste Viertel in Neu-Delhi, das sich für Street-Artists öffnete, war Khirki Village. Hier wurde einst neben einer Müllhalde ein viel beachtetes Buddha-Gesicht mit einer Anti-Pollution-Maske gemalt - leider mittlerweile mit weißer Farbe übertüncht. Das hat der Dynamik der Einheimischen jedoch keinen Abbruch getan. In Khirki gibt es viele junge Galerien und das Khoj, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, das Residenzen und innovative Veranstaltungen anbietet.
Das höchste (45 Meter) und zugleich ikonischste Wandgemälde der Hauptstadt ist an der Fassade des Polizeipräsidiums zu sehen. Das berühmte Porträt des lächelnden Gandhi wurde von Anpu Varkey und dem deutschen Künstler Hendrick ECB Beikirch geschaffen. Es handelte sich um den ersten offiziellen Auftrag für öffentliche Kunst. Seine Fertigstellung erfolgte im Januar 2014 im Rahmen des St+Art Delhi Festivals. Der Verein St+Art India fördert öffentliche Kunst in den wichtigsten indischen Metropolen. Sein Ziel? Lokale und internationale Künstler zusammenzubringen. Langfristig hofft sie, kreative Hubs zu schaffen. Und es funktioniert! In Shahpur Jat, einem Viertel im Süden Delhis, das auch das Viertel der Designer genannt wird, war das Festival so erfolgreich, dass sich die Straßen komplett verwandelt haben. Angesagte Cafés, Ateliers und Modehäuser entstanden. In den folgenden Jahren waren es die Lodhi Colony, Moolchand oder Khan Market, die zur künstlerischen Entwicklung Delhis beitrugen. Zu unserer großen Freude!