Eine Clanorganisation

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist in Kirgisistan, wie in ganz Zentralasien, ein bestimmendes Element der Gesellschaft. In Kirgisistan gibt es zwei große Klans: den nördlichen und den südlichen. Die nomadischen Kasten bestimmen das gesamte politische, wirtschaftliche und alltägliche Leben wie vor der Ankunft der Kommunisten. Wenn das Mitglied einer Adelsfamilie Minister, Leiter einer Behörde, Direktor einer Fabrik oder Präsident der Republik wird, werden die Mitglieder seiner Großfamilie das so angebotene neue Territorium in Besitz nehmen und alle Funktionsposten besetzen. Ohne die Zugehörigkeit zu einem Clan ist ein Individuum nichts und kann keinen dauerhaften Erfolg in seinem persönlichen oder beruflichen Leben erwarten. Auf der Ebene der Familie diktiert dieses Clansystem auch die Heiratspolitik und Zwangsheiraten bleiben eine traurige Konstante im Land.

Die Rückkehr zum Nomadentum

Kirgisistan ist ein Land, in dem das Nomadentum nach der Unabhängigkeit sehr schnell und in großem Ausmaß wieder aufgekommen ist. Sich auf Pferden fortzubewegen, von den Produkten der Viehzucht zu leben und im Sommer in einer Jurte zu wohnen, ist heute ein Gemeinplatz und eine einzigartige Lebensweise auf der Welt. Die Jurte allein ist ein Konzentrat aller nomadischen Traditionen, die in der Mongolei, Kasachstan und Kirgisistan zu finden sind. Sie ist ein extrem kodifizierter Lebensraum, der sowohl die Vorstellung von der Welt als auch soziale Praktiken widerspiegelt.

Ein armes und nur für Eliten zugängliches Bildungssystem

Das sowjetische Bildungssystem, das in allen sozialistischen Republiken Zentralasiens durchgesetzt wurde, hatte eine fast flächendeckende Alphabetisierung der einheimischen Bevölkerung ermöglicht. Dies war mitunter eine schwierige Aufgabe, da einige der Länder, insbesondere Tadschikistan und Kirgisistan, zu Beginn eine extrem niedrige Alphabetisierungsrate aufwiesen. Das Ende der Sowjetunion und die Unabhängigkeit zwangen die neuen zentralasiatischen Länder, die Verantwortung für ihr eigenes Bildungssystem zu übernehmen. Obwohl keine aktuellen Zahlen vorliegen, scheint es, dass Anfang der 2000er Jahre fast 20 % der Bevölkerung über 6 Jahren nie eine Grundschulbildung erhalten hatten und fast 60 % der Einwohner keinen Zugang zu einer Sekundarschulbildung hatten. Trotz fehlender finanzieller Mittel haben fast alle zentralasiatischen Länder versucht, umfassende Reformen ihres Bildungssystems einzuleiten. Alle gehen in die gleiche Richtung: die Renationalisierung des Bildungswesens. Kirgisistan weist jedoch eine Besonderheit im Vergleich zu seinen Nachbarn auf, die die Landessprache in den Vordergrund stellen: Die Kirgisische Republik behält eine Landessprache, Kirgisisch, und eine Amtssprache, Russisch, bei. Beide werden in der Schule gelehrt. Generell ist der Zugang zur Hochschulbildung in ganz Zentralasien derzeit noch äußerst selektiv. Der Zugang zu Universitäten ist nur nach einem Auswahlverfahren möglich und die Zahl der Hochschulabsolventen übersteigt selten 10 % der Bevölkerung. Die Unterrichtsbedingungen haben sich jedoch häufig verschlechtert: Die Räumlichkeiten sind oft veraltet, Studenten erhalten nur wenige Stipendien und die schlecht oder gar nicht bezahlten Lehrer verlangen oft Bakschisch (Bestechungsgeld) von ihren Studenten.

Die Sonderstellung der Frau in der Geschichte..

In Ländern, die aus Nomadenkulturen hervorgegangen sind, haben Frauen im Allgemeinen eine beneidenswertere Stellung als in sesshaften Zivilisationen derselben Region. Traditionell, und obwohl es sich immer noch um patriarchalische Gesellschaften handelt, teilten Frauen die Arbeit der Männer, mit denen sie innerhalb der Familie mehr oder weniger gleichberechtigt waren. Die Geschichte und Literatur Kirgisistans berichtet beispielsweise von mehreren Frauen, die zu Anführerinnen ihres Clans wurden (siehe den Kasten "Kirgisische Amazonen" im Dossier "Geschichte"). Auch heute noch ist Kirgisistan eines der Länder, in denen die meisten Frauen in wirtschaftlichen oder politischen Führungspositionen zu finden sind. Das Land hatte beispielsweise mit Roza Otunbajewa eine Frau als Bildungsministerin und später als Außenministerin, Botschafterin in den USA und in Kanada. Bei den letzten Parlamentswahlen 2015 wurde eine Quote eingeführt, die für jede Partei die Verpflichtung festlegte, 35 % Frauen aufzustellen. Die Parität ist noch weit entfernt, aber es zeichnet sich ein Trend ab.

... und in der sozialen Realität!

Die Stellung der Frau ist auch in vielen Nomadentraditionen zentral, vor allem in Bezug auf Eheschließungen, die fast immer schon in jungen Jahren arrangiert werden und zu manchmal gewalttätigen Reiterprotesten führen. In dieser Hinsicht macht das Land zumindest auf dem Papier den Eindruck, Fortschritte zu machen. Anfang 2013 verabschiedete es ein Gesetz zur Bestrafung von Entführungsehen (jede dritte Frau in Kirgisistan soll verheiratet sein, nachdem sie entführt und gewaltsam mit einem nicht gewählten Ehemann vereint wurde). Im Zuge dessen verbietet er jungen Frauen im Alter von 23 Jahren die Ausreise aus dem Land, wenn sie nicht die Zustimmung ihrer Eltern haben. Das Gesetz wurde ursprünglich verabschiedet, um den Handel mit Prostituierten zu bekämpfen, wurde jedoch von vielen Kirgisinnen als freiheitsfeindlich empfunden. Die Prostitution ist in Kirgisistan zu einer wahren Gangsterbande geworden, insbesondere in Bischkek, wo schätzungsweise mehr als die Hälfte der Prostituierten minderjährig sind.

Ein (zu?) festliches Land?

Kirgisistan ist ebenso wie seine zentralasiatischen Nachbarn nicht von einem Phänomen verschont geblieben, das in den Augen der betroffenen Regierungen immer beunruhigender wird: Die Kirgisen feiern gerne! Hochzeiten, Beerdigungen, Beschneidungen... Der Prunk dieser Zeremonien, die soziale Anerkennung versprechen, bringt kirgisische Familien dazu, sich über Jahre hinweg zu verschulden, um ein paar Stunden "Bling Bling" zu finanzieren. In Bischkek gibt es keine Hochzeit ohne Limousine oder einen bekannten Sänger, der fürstlich entlohnt wird. Insgesamt geben die Kirgisen jedes Jahr schätzungsweise 45 Millionen US-Dollar für Zeremonien und rituelle Feste aus. Ein Tropfen im Vergleich zu Kasachstan oder Usbekistan, aber eine besorgniserregende Summe, die die finanziellen Möglichkeiten vieler Familien bei weitem übersteigt.