Reiseführer Sarajevo

"Egal zu welcher Tageszeit, egal an welchem Ort, wenn Sie auf das zu Ihren Füßen liegende Sarajevo blicken, taucht immer der Gedanke auf, selbst wenn er unbewusst ist. Eine Stadt ist da. Eine Stadt, die sich gleichzeitig verwandelt, stirbt und wiedergeboren wird" Ivo Andrić, Geschichten aus der Einsamkeit, 1976.Was für eine Verzauberung! Diese Stadt hat einen unwiderstehlichen Charme, der Sie wie eine orientalische Stadt in seinen Bann zieht. Nun ja, fast... Denn sie ist etwas anderes, eine unwahrscheinliche Mischung aus Istanbul, Wien und Chamonix. Die kleine, zwischen Bergen gelegene Hauptstadt hat weniger Einwohner als Bordeaux. Ihre Geschichte reicht über die Osmanen und das österreichisch-ungarische Reich bis ins Neolithikum zurück. Das Ergebnis all dieser Mischungen ist, dass Sarajevo der einzige Ort in Europa ist, an dem man nach einem guten Tag auf der Skipiste die Muezzine von hundert Moscheen zur gleichen Zeit anfangen hören kann zu singen. Noch berauschender ist es, wenn man von den Hügeln aus zuhört und dabei einen Glühwein oder ein Gläschen Rakjia schlürft! Denn diese "muslimische" Stadt erweist sich als offen und tolerant. Offen und tolerant war sie schon immer. Muslimisch wurde sie durch den Zwang, bosnische Flüchtlinge aus dem Rest des Landes aufzunehmen und zu sehen, wie ihre serbischen Bewohner nach dem Ende des Krieges wegzogen.Der Krieg. Das Thema ist hier unvermeidlich. Außerdem kommen die meisten Touristen deswegen hierher. Um die Spuren der schrecklichen Belagerung von 1992-1996 zu sehen: die aufgerissenen Gebäude, die Türme, von denen aus die Scharfschützen schossen, die Granatsplitter, die noch immer im Asphalt sichtbar sind, usw. Aber auch, um zu sehen, wo der andere Krieg, der "Große", mit der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand im Jahr 1914 begann. Symbolisch gesehen ist Sarajevo die Stadt, in der das 20. Jahrhundert seinen Anfang nahm und wo es mit dem Krach des Untergangs des europäischen Kommunismus endete. Das weiß man zwangsläufig schon ein wenig, bevor man hierher kommt. Was man bei der Ankunft entdeckt, ist, dass man nicht genug Zeit eingeplant hat, um alles zu sehen, alles zu verstehen, alles zu probieren und sich in den Gassen der Altstadt zwischen einer Moschee und einer Synagoge, einem Irish Pub und der Statue von Johannes Paul II, einer orthodoxen Kirche und einer Karawanserei zu verlieren.