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Ein natürlicher und heiliger Lebensraum

Die traditionelle madagassische Behausung besteht aus einem einzigen rechteckigen Raum und das Dach ist ein Satteldach. Die Wohnung ist nach Nord-Süd ausgerichtet, um sich vor den regnerischen Passatwinden aus dem Südosten zu schützen. Nur die Baumaterialien ändern sich, je nachdem, was den Bewohnern zur Verfügung steht. Ein madagassisches Sprichwort besagt übrigens: "Der Vogel baut sein Nest mit Moos, und die Biene mauert mit Erde." Im Norden wurde Bast bevorzugt, im Südwesten Aloe und Sisal, bei den Tanala gespaltener Bambus, an der Ostküste Ravenala, in Androy das Holz der Dornbäume und bei den Vezos das Binsenholz.

Holz wurde häufig im Hochland verwendet. Heute haben Lehmziegel oder Lehm das Holz ersetzt, zusammen mit den Tamboho oder dicken Lateritmauern, die ein Anwesen umschließen. Man verwendet die Lehmtechnik: Der Lateritboden wird angefeuchtet, dann mit einem Spaten bearbeitet, zertrampelt und mit einem Bindemittel wie gehäckseltem Reisstroh oder wilden Gräsern vermischt.

Außer auf den zentralen Plateaus werden auch anderswo Materialien pflanzlichen Ursprungs verwendet. Im Süden und Südwesten wird beispielsweise "Vondro" oder Wasserquenouille verwendet, die in den Sümpfen entlang der Mangrovenwälder im Westen zu finden ist. Der "Vondro" ist reichlich vorhanden, leicht, handlich und widerstandsfähig (interessante Eigenschaften), und er ist luftdurchlässig, was in so heißen Regionen praktisch ist. Andererseits beherbergt es viele Insekten und Schädlinge.

Außerdem werden Schilf (als Unterlage), Papyrus (in der Nähe des Alaotra-Sees), Gräser (z. B. getrocknete Kräuter am Stiel) oder Palmen verwendet, ebenso wie Bast oder andere Palmen wie Vakoa oder Vakona (Pandanus utilis) für Stelzenhäuser. Nicht zu vergessen ist Bambus. Vor allem im Osten wird häufig Ravenala verwendet.

In Madagaskar baut man kein Haus (trano), ohne einen Wahrsager zu befragen: Die Ausrichtung jedes Zimmers ist von entscheidender Bedeutung. Die zwölf Monate des Jahres entsprechen somit ebenso vielen Stellen im Haus. Christiane Ramanantsoa und Henri Ratsimiebo schreiben in ihrem Buch Tableaux de Madagascar (Arthaud): "Das madagassische Haus drückt viel mehr aus als eine einfache Antwort auf materielle Bedürfnisse. Es hat eine spirituelle Dimension, die nicht allein auf die technischen Anpassungsfähigkeiten der ländlichen Gesellschaften reduziert werden kann." Die Inneneinrichtung des Hauses entspricht dem Tagesrhythmus der Bewohner. Die Einrichtung der Behausung entspricht also durchaus astrologischen Erfordernissen, und das Ensemble wird immer so gebaut, dass es nach Westen ausgerichtet ist.

Im Inneren ist der Boden in drei Zonen unterteilt: rot (günstig), schwarz (neutral oder unsicher) und weiß (ungünstig). Das Familienoberhaupt muss immer im Nordosten (Alahamady) schlafen, der den Ahnen entspricht. Die Matten müssen dort sauber sein, die Lamboany aus Seide. Bei einem Fest gießt man an diesem Ort etwas Rum aus, um den Segen der Ältesten zu erlangen. Außerdem können die Alten so an den Feierlichkeiten teilnehmen. Die südwestliche Ecke, die dem günstigen Schicksal Asombolas entspricht, ist für das Reissilo und den Mörser reserviert.

Ein starkes Familiengefühl

Das gesamte gesellschaftliche Leben basiert auf dem unauflöslichen (oder fast unauflöslichen) Band der Familie, das das Kind an die Vorfahren bindet.

Frauen haben traditionell viele Kinder. Es wird oft daran erinnert, dass Rainilaiarivony, der Premierminister, 16 von seiner ersten Frau bekam, bevor er die Königin heiratete. Unfruchtbarkeit wird traditionell als göttliche Strafe angesehen.

Natürlich wird ein Wahrsager aufgesucht, wenn das Kind ausbleibt, und dieser legt Gebete und Opfer auf. Bestimmte heilige Steine sollen eine heilende Wirkung haben, man kann auch scharfes Essen zu sich nehmen, "um den Bauch zu wärmen" usw.

Während der Schwangerschaft gelten zahlreiche Fady, die nicht überschritten werden dürfen: Es ist verboten, Rum zu trinken, einen Graben zu überqueren, Krabben zu essen (sonst bekommt das Kind missgebildete Hände) usw. Auch die Ernährung ist wichtig, da sie das Verhalten des Kindes beeinflusst: Am Ende der Schwangerschaft sollte man z. B. Brühe aus Ochsenschnauze trinken, um den Schleim um den Fötus herum zu verringern. Wenn die Geburt schwierig ist, führt die mpampivelona oder Hebamme diealanenina durch, einen rituellen Zauber, bei dem der Bauch der Patientin wiederholt mit einem Reisstößel leicht berührt wird.

Wenn das Kind geboren wird, muss man sich um die Nabelschnur kümmern. Traditionell wird sie von den Merinas mit einer Schere, den Sakalavas mit einem scharfen Bambus, den Antandroys mit einem Holz- oder Glasfragment usw. durchtrennt. Man darf den Körper des Säuglings nicht waschen, sondern muss ihn mit etwas Fett bestreichen. Je nach Volk vergräbt man die Plazenta (bei den Sakalavas), wirft sie in den Fluss (im Südosten) oder verfüttert sie an einen Ochsen (Merinas). Auch sollte man keine überschwängliche Freude anlässlich der Geburt zeigen: Überschwang könnte dem Neugeborenen Unglück bringen.

Das Kind wird von Anfang an rittlings auf dem Rücken getragen(babena), es darf nicht angezogen werden, da es "nicht wachsen würde", und in den ersten sechs Monaten dürfen die Haare nicht geschnitten werden (fady). Es erhält einen Namen, den es später ändern kann, da die frühe Festlegung auf einen endgültigen Namenbösen Geistern die Möglichkeit bietet, ihn zu übernehmen. Generell gilt übrigens, dass ein Kind seinen Namen mehrmals im Leben ändern kann, je nach den Umständen. Diese Praxis ist heute weit weniger verbreitet.

Die Ablehnung durch die Familie ist die schlimmste Strafe, die einem Kind drohen kann: Es darf nicht im Gemeinschaftsgrab beerdigt werden.

Die Ehe

Die Ehe beinhaltet eine unverbindliche Probezeit. Man kann in jedem Alter heiraten, aber im Allgemeinen haben sich die Dinge in den letzten 100 Jahren erheblich geändert, denn damals heirateten Jungen mit 14 und Mädchen mit 12 Jahren. Die Vereinbarung wird zwischen den Eltern der Familien getroffen, und es werden große Reden über die Einzelheiten der Zeremonie und die Bedingungen der Ehe gehalten. Am besagten Tag begibt sich die Versammlung zum Haus des Mädchens, wo das Kabary-Ritual stattfindet: Zwei Figuren stellen die Eltern des Brautpaares dar, der Mpangataka (Rolle des Bräutigams) und der Mpanatitra (Rolle des Mädchens). Diese Rede reproduziert den Heiratsantrag und die Aufnahme in die Ehe. Danach wird der Vody-ondry, die Weihe des Ehebundes, überreicht, früher der rechte Schenkel eines Schafes mit dem Schwanz, heute ein kleiner Geldbetrag. Später kann nur der Ehemann entscheiden, die Ehe zu brechen; die Frau hat das Recht, sich von ihm zu trennen, darf dann aber nicht wieder heiraten. Diese Verstoßung wird fisaoram-bady ("Dank der Ehefrau") genannt. Sie kann durch Ehebruch oder das Verlassen der ehelichen Wohnung ausgelöst werden, aber in der Praxis handelt der madagassische Mann nach seinem Gutdünken.

Die Bruderschaft: Fatidra

Die Madagassen messen den sozialen Bindungen eine grundlegende Bedeutung bei, was sich in den Fokonolonas (Volksversammlungen) widerspiegelt. Es gibt auch die Möglichkeit, eine künstliche Allianz außerhalb der Familienbande zu schließen, und zwar in drei verschiedenen Formen.

Die Blutsbrüderschaft ist eine künstliche Verbindung, die von einer Gottheit aus emotionalen oder eigennützigen Gründen geweiht wird. Es gibt verschiedene Varianten je nach Volk, aber im Allgemeinen müssen die beiden Vertragspartner einige Tropfen Blut aus einer leichten Wunde trinken, die dem anderen zugefügt wurde. Die beiden neuen "Brüder" müssen sich dann gegenseitig materiell und moralisch unterstützen.

Lohateny (z. B. bei den Sakalavas), eine Art gegenseitiges Abkommen zwischen Angehörigen verschiedener Kasten, das sie dazu verpflichtet, sich gegenseitig zu helfen.

Die kollektive Arbeitsgemeinschaft, findramanolona oder valin-tanana, bei der die Bewohner eines Dorfes einem der Bewohner bei der Verrichtung einer schweren Arbeit (Vorbereitung von Reisfeldern...) Hilfe leisten.

Bekleidung

Die Grundlage der madagassischen Kleidung ist der Salaka oder Sikiny, ein schmaler, etwa zwei Meter langer Stoffstreifen, den sich die Männer um die Nieren gürten, indem sie ihn zwischen den Beinen hindurchführen und das eine Ende vorne und das andere hinten herunterhängen lassen.

Bei Frauen ist das Sikiny oder Kitamby ein Tuch, das ebenfalls um die Lenden gegürtet wird und an einen kurzen Unterrock erinnert. Mit zunehmender Länge wird dieses Kleidungsstück als salovana bezeichnet. Dieses Kleidungsstück ist heute eher in ländlichen Gegenden üblich, da Frauen, die ihre Brüste frei lassen, immer seltener werden. Diese Kleidung findet bei jedem Stamm auf der Großen Insel glückliche Varianten.

Die Kleidung hat sich im letzten Jahrhundert stark verändert. In den Städten ist der europäische Einfluss unübersehbar, und im Busch kleidet man sich so gut es geht mit alten T-Shirts oder verwaschenen Jeans.

Die Lamba ist das traditionelle Kleidungsstück der Madagassen. Nach und nach wurde die Lamba zugunsten der europäischen Mode aufgegeben, ist aber wegen ihrer Schönheit wieder gefragt. Sie wird aus Rohseide hergestellt, die manchmal mit Baumwolle(Arindrano landihazo) oder Bast(Arindrano jabo-landy) kombiniert wird. Früher wurde Lamba Fanto auch aus zerstoßener Baumrinde hergestellt (wie Fanto selbst und Nonoka, das ein Ficus ist): Diese Praxis ist heute kaum noch üblich.

Traditionell ist der Lamba bei Frauen weiß und mit Mustern in verschiedenen Schattierungen verziert, bei Männern braun oder rot mit weißen, schwarzen oder braunen Linien dazwischen.

Es gibt drei Arten von Lamba: Lambamene, das vor allem dunkelrot ist und als Leichentuch verwendet wird; Lamba arindrano, oder zeremonielles Gewand für Adlige, Reiche oder alte Menschen, das vorne mit schwarzen und weißen Streifen und an den Rändern mit roten Streifen verziert ist; und Lamba telo soratra, bei dem die Streifen drei Grundfarben darstellen.

Der Tabaké ist eher eine Koketterie als ein Kleidungsstück und dient auch als Sonnenschutz. Vor allem bei den Vezos und Mahafalys ähnelt dieser einzigartige Gesichtsschmuck einem Muster aus Flecken, Punkten oder Strichen, die meist weiß oder gelb sind. Die Salbe, die diese köstliche Buntheit ermöglicht, wird aus weißer Tonerde oder Tanifotsy hergestellt, die mit Wasser, aromatisierten Pflanzen und Färberwurzeln wie Safran vermischt wird. Wenn diese kunstvolle Creme auf die Haut aufgetragen wird, trocknet sie aus und bleibt haften. Es gibt viele verschiedene Formen von Tabaké mit zahlreichen Arabesken, die z. B. die Haut weicher und schöner machen sollen.

Gesundheit

Die Gesundheitssituation in Madagaskar ist ziemlich heikel, um nicht zu sagen mangelhaft. Die Gesundheitsdienste sind weit davon entfernt, optimal zu sein, und es fehlt oft an Medikamenten. Trotz internationaler Hilfe und einiger neuer Krankenhäuser, die in den Provinzen eingeweiht wurden, befindet sich der Gesundheitssektor ständig in einer Krise: Probleme mit der administrativen und finanziellen Verwaltung, fehlende Planung, mangelhafte Infrastruktur usw. Einige Merkmale: hohe Kindersterblichkeitsrate, geringe Verbreitung von Verhütungsmitteln, Unter- und Mangelernährung, endemisches Auftreten von Malaria, Durchfallerkrankungen, steigende HIV-Prävalenz, manchmal Trinkwassermangel..

Sitten und Gebräuche

Raymond Decary meint: "Eine große Sittenfreiheit bestand schon immer bei den Madagassen mit ihrem sinnlichen und wollüstigen Temperament, die die Freuden des Daseins in dem Satz zusammenfassen: Süß ist das Leben."(Sitten und Gebräuche der Madagassen.) Das heißt aber nicht, dass Madagaskar zügellos oder unmoralisch ist, wie manche Leute manchmal erzählt haben. Die Madagassen sind geduldig, aufgeweckt, sensibel, wenn sie von ihrer Heimat sprechen, legen großen Wert auf Familienbande und die Einhaltung bestimmter Riten, Bräuche und sogar einer gewissen Moral und sind ausgesprochen gesellig.

Der ehemalige Chefadministrator der Kolonien, der sehr wohl verstanden hatte, dass eine andere Moral nicht das Fehlen jeglicher Moral bedeutet, schildert dann das tägliche Leben dieser Völker, die in gutem Einvernehmen zusammenleben: "In ihren langen, ungezwungenen Gesprächen, im Schatten einer Mauer oder eines Tamarindenbaums mit dichtem Laubwerk, sprechen sie wortgewandt und entwickeln, soweit das Auge reicht, Argumente, die manchmal gewunden sind, aber meistens in die Ecke des gesunden Menschenverstandes geschlagen sind." Dies sind die Kabarys, in denen die Gesprächspartner in metaphorischen Wortgefechten gegeneinander antreten. Diese naiven, rührenden und tiefgründigen Sprichwörter, die so klar wie klares Wasser sind, zeugen von ihrer großen Weisheit:

"Den Mund wie eine Schnupftabakdose haben": sich immer etwas leihen.

"Zwei Krüge auf dem Kopf tragen": sich gleichzeitig um mehrere Angelegenheiten kümmern.

"Wie ein Hahn sein, der nachts kräht": ohne Mäßigung reden.

"Wie ein Wildschwein, das die Mücken verschluckt": sich mit wenig zufrieden geben.

"Das Dach Gottes": der Himmel; "die himmlische Liane": die Milchstraße; "das Auge des Tages": die Sonne; "der Prinz des Auges": die Schlehe; "das Kind des Berges": der Hügel; "die Zweige der Hand": die Finger..

Auch die Liebe hat ein Anrecht auf ihre schönen Worte; ein Sprichwort sagt, sie sei "Wie Reis wächst sie dort, wo man sie sät"; andere berichten, dass "wahre Liebende die Nacht nicht kommen sehen."

Stellung der Frau

Wie in vielen anderen Ländern des "Südens" ist die Situation der Frauen je nach sozialer Schicht sehr unterschiedlich. Reiche Haushalte führen ein Leben, das dem der westlichen Oberschicht recht ähnlich ist, und die Aufgaben werden mehr oder weniger gleichmäßig mit dem Ehemann oder Ehepartner geteilt; es werden fast immer Haushälterinnen eingestellt. Im Süden Madagaskars, in einer Region, die dem Meer zugewandt ist, arbeitet der Mann an seinen Pirogen und geht auf Fischfang, während die Frau die Erzeugnisse des Fischfangs verkauft. Gleichzeitig kümmert sie sich tagsüber um den Haushalt.

Der Schulbesuch von Mädchen hat eine heilsame Bedeutung erlangt. Zwar werden Entscheidungen im großen Maßstab oft von Männern getroffen, aber es gibt Frauen als Minister, Abgeordnete und Senatoren! Auch in Unternehmen, NGOs, Behörden und Gerichten gibt es viele Frauen. Seit langem haben Frauen das Recht, in den Fokonolonas, den Gemeindeversammlungen und öffentlichen Entscheidungsgremien, mitzuwirken. Und es ist nicht ungewöhnlich, Selfmade-Frauen an der Spitze von Unternehmen zu sehen, insbesondere in der Reisebranche: Wir wünschen Ihnen, dass Sie ihnen auf Ihrer Reise begegnen!