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Koloniale Vergangenheit

Das Fort Frederik Hendrik, dessen mächtige Überreste auf der archäologischen Stätte Vieux Grand Port zu sehen sind, ist das allererste Steingebäude der Insel - und der einzige Zeuge, den die Holländer hinterlassen haben. Die ersten Franzosen, die ihnen folgten, lebten in recht einfachen Holzbauten. Dies änderte sich jedoch mit der Ankunft von Mahé de Labourdonnais, der fest entschlossen war, das Gesicht der Insel zu verändern. Er versorgte die Siedler mit Arbeitskräften und Materialien, damit sie sich standesgemäße Häuser bauen konnten, d. h. große Gebäude aus Quadersteinen, die oft klassisch gestaltet oder von regionalen französischen Stilen (Bretonisch, Lothringisch usw.) inspiriert waren. Das Schifffahrtsmuseum in Mahébourg ist ein gutes Beispiel dafür. Labourdonnais wollte aber auch echte Städte errichten. Auf der Grundlage der Pläne von Charpentier de Cossigny organisierte er die Entwicklung von Port-Louis und Mahébourg nach einem schachbrettartigen Plan, wobei sich Straßen und Alleen kreuzten, um Wohnblöcke zu bilden. Die Stadt sollte angenehm und funktional sein, wie die Pflasterung der Bürgersteige in Port-Louis aus dieser Zeit beweist.

Auf die Franzosen folgten die Engländer, die zunächst mehr Befestigungen errichteten. Ein gutes Beispiel dafür ist Fort Adelaide, das mit seiner mächtigen Basaltsteinsilhouette Port Louis überragt. Die Engländer bauten auch eine Eisenbahn, und mit ihrer Ankunft wurde die sogenannte Metallarchitektur eingeführt, die untrennbar mit den Fortschritten im Ingenieurwesen verbunden ist. Sie schmückten die Städte mit zahlreichen öffentlichen Gebäuden mit imposanten Steinstrukturen und sehr "europäischen" Designs, wie z. B. das Royal College oder die Carnegie Library in Curepipe.

Die Präsenz der europäischen Siedler ist auch untrennbar mit einer Architektur verbunden, die mit der Wirtschaft zusammenhängt. Die großen Plantagen, die während der französischen Präsenz entstanden, gediehen auch unter der englischen Herrschaft. Die Schornsteine ihrer Fabriken sind die sichtbarsten Zeugen dieser "industriellen" Architektur, ebenso wie die alten Zuckerfabriken, von denen es früher Dutzende gab und von denen einige in Kulturzentren umgewandelt wurden, wie das bezaubernde Café des Arts (Restaurant-Galerie mit Werken des Malers Maniglier) und vor allem dasAventure du Sucre, das größte Museum der Insel. Die bewegendsten Überreste sind jedoch in Port Louis auf demAapravasi Ghat zu sehen, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Es handelt sich um die Ruinen eines 1849 errichteten Einwanderungszentrums, in dem die "angeheuerten" indischen Arbeiter untergebracht werden sollten, die nach der Abschaffung der Sklaverei in Scharen kamen, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Die Überreste lassen die Unterkünfte der Einwanderer, die Küchen, die Toiletten, das Krankenhaus und vor allem die symbolischen 14 Stufen erkennen, die die Einwanderer bei ihrer Ankunft erklimmen mussten. Eine kraftvolle Stätte, die hilft, die komplexe Geschichte der Insel zu verstehen.

Kreolischer Lebensraum

Die wahre Identität von Mauritius zeigt sich in seiner "kreolischen" Architektur, deren Codes die Kolonialherren sehr schnell anwendeten. Diese Häuser sind ganz darauf ausgelegt, den klimatischen Belastungen standzuhalten und sich harmonisch in die Natur einzufügen. Die großen Herrenhäuser auf den Plantagen und die prächtigen Häuser im Hochland, die von Mauritianern gebaut wurden, die von der ungesunden Stadtluft in die saubere Bergluft flüchteten, ähneln sich sehr. Diese Häuser sind auf einem Steinfundament gebaut, das den Boden vor Feuchtigkeit isoliert - der Boden selbst ist mit kleinen Öffnungen versehen, um eine gute Belüftung zu ermöglichen -, und haben ein Holzgerüst, dessen Türen und Trennwände mit Jalousien oder kleinen Fenstern versehen sind, um eine maximale Belüftung zu ermöglichen. Das Schindelgerüst ist oft verputzt, um die Wasserdichtigkeit zu erhöhen, und hat ein genau berechnetes Gefälle, damit das Regenwasser abfließen kann.

Das Wohnzimmer in der Mitte ist der größte Raum des Hauses, die anderen Räume sind symmetrisch darum herum angeordnet. Alle sind aneinandergereiht gebaut, damit die Luft zirkulieren kann. Aus Gründen der Sicherheit und Funktionalität sind die Küche und die Gemeinschaftsräume separat in einem begrenzten Bereich des Hofes untergebracht. Die Rückseite des Hauses ist der intime Bereich, der nur der Familie vorbehalten ist. Die Vorderseite ist dagegen ganz der Gastfreundschaft gewidmet, die ein Grundpfeiler der kreolischen Kultur ist. Deshalb befindet sich hier der wichtigste Raum des Hauses: die Varangue. Diese überdachte Veranda mit Säulen kann sich über das ganze Haus erstrecken (die hintere Varangue ist nur für die Familie reserviert) oder nur über drei Seiten. Sie hat viele Funktionen: Sie schützt das Haus vor den Elementen; sie sorgt für eine harmonische Verbindung zwischen Innen und Außen und lässt die Düfte und Farben der üppigen Gärten eindringen; und vor allem ist sie der Empfangsbereich des Hauses, weshalb sie besonders kunstvoll dekoriert und möbliert ist. Im Laufe der Zeit hat sich die Varangue von einer einfachen Säulengalerie zu einer Galerie mit Balustrade und schließlich zu einer verglasten Veranda entwickelt, die von den europäischen Wintergärten inspiriert wurde. Auch die Dekoration ist ein Schlüsselelement dieser schönen Häuser. Lambrequins aus Holz oder Metall, die wie Spitze verarbeitet sind, Markisen mit eleganten Linien und Balustraden mit Blumenmotiven machen jeden Wohnsitz einzigartig. Besuchen Sie die Domaine des Aubineaux, das Maison Eurêka, die Domaine de Saint Aubin und das Château de Labourdonnais.

Dasselbe gilt für die Volkshäuser, die man in der Stadt findet. Auch wenn sie Elemente der großen kreolischen Häuser beibehalten (Varangues, Anordnung der Zimmer usw.), besitzen sie dennoch eine ganz eigene Identität, die durch eine geschickte Asymmetrie, die Verwendung bescheidenerer Materialien wie Blech und vor allem durch eine noch stärkere Individualisierung der Fassade erreicht wird, die nun in lebhaften Farben und mit sehr stilisierten Verzierungen (Festons aus Eisen und Holz, Gesimse und Vordächer mit verschlungenen Arabesken und Voluten usw.) geschmückt wird. Diese Häuser sind von bescheidenerer Größe, da sie durch die Größe des Grundstücks, das als Standort bezeichnet wird, eingeschränkt sind. Einige grenzen direkt an die Straße, andere haben einen Garten, wobei letzterer bei den wohlhabenderen Häusern mit Pavillons und Pavillons geschmückt ist und von der Straße durch einen Zaun getrennt ist, dessen Tor "baro" genannt wird. Dasselbe gilt für die kleinen kreolischen Hütten, die man überall in den Dörfern sieht und die, obwohl sie klein und aus einfachen Materialien (Holz, Blech) gebaut sind, schöne, leuchtende Farben und Verzierungen aufweisen.

Leider verschwindet dieses wunderschöne kreolische Erbe immer mehr und wird durch Betonhütten und -häuser ersetzt, die immer weniger die Prinzipien der lokalen Architektur respektieren..

Religiöse Vermischung

Eine weitere Besonderheit der Insel ist das harmonische Zusammenleben, das zwischen den verschiedenen Religionen herrscht. Mit ihrer imposanten steinernen Silhouette, die von mächtigen Türmen flankiert wird, ist die kathedrale Saint-Louis de Port-Louis fast unverwundbar gegen den Zahn der Zeit und symbolisiert so den Glauben der Katholiken auf der Insel. Die fotogenste der Kirchen befindet sich jedoch am Cap Malheureux. Es handelt sich um die Kirche Notre-Dame Auxiliatrice. Mit ihrem makellosen Weiß, das das leuchtende Rot ihres erstaunlich steilen Daches hervorhebt, steht sie direkt am Meer und hebt sich vom intensiven Türkis der Lagune ab.

Die Pagode Kwan Tee des Salines ist der älteste Zeuge der chinesischen Präsenz. Sie wurde in Richtung Norden gebaut, da die Gottheiten dem Meer zugewandt sein sollten, und beeindruckt durch ihr Dach mit den gebogenen Spitzen, das mit farbenfroh glasierten Ziegeln gedeckt ist. Die gleiche dekorative Kraft findet man auch in den hinduistischen und tamilischen Tempeln. Der größte Hindutempel der Insel befindet sich im Dorf Triolet. Es handelt sich um den Maheswarnath Shiv Mandir Tempel, dessen mächtige Kuppel und strahlend weiße Wände die zarten, bunten Blumenmuster hervorheben. Der Tamil Surya Oudaya Sanga Tempel mit seinen schillernden Farben und Dutzenden von Statuetten ist ebenfalls ein Muss. In Port Louis sollten Sie sich die Jummah-Moschee mit ihrer wunderschönen weiß-grünen Fassade, die von einer prächtigen geschnitzten Holztür durchbrochen wird, und ihrem angenehm schattigen Innenhof nicht entgehen lassen.

Dieser harmonische Multikulturalismus lässt sich nicht nur am religiösen Erbe ablesen. Viele Viertel, vor allem die Geschäftsviertel, sind davon geprägt. Port-Louis besitzt sein Chinatown, dessen Eingang durch einen Portikus mit einem typisch chinesischen, gebogenen Dach begrenzt wird. Auch die quirligen Märkte und Basare der großen Stadtzentren erinnern an die Souks oder Markthallen in den arabischen Ländern.

Zeitgenössische Efferveszenz

Das attraktive Mauritius konnte sich dem unersättlichen Appetit der Immobilienentwickler nicht entziehen: Überall wurden Hotels gebaut, in Port Louis oder zumindest in der näheren Umgebung entstand mit Hochhäusern eine Cyber-City oder ein Geschäftsviertel, während sich die Waterfront Caudan in ein etwas überbewertetes, wenn auch architektonisch gelungenes Fenster der Insel verwandelt hat. Parallel dazu sind die Städte weiterhin unkontrolliert gewachsen, oft auf Kosten eines ignorierten historischen Erbes.

Doch neuere Projekte haben trotz allem gezeigt, dass es möglich ist, Modernität und lokale Verankerung miteinander zu verbinden. So hat der Architekt Jean-Michel Wilmotte versucht, dem großen Resort Anahita durch seine wunderschönen Villen aus lokalem Basaltstein einen authentischen Touch zu verleihen. Die Glas- und Stahlstruktur des Passagierterminals des internationalen Flughafens SSR ist von den großen Palmen des Tree of the Traveller inspiriert, während das Institut Français mit seinen vier Portalen, die jeweils eine lokale Kultur repräsentieren, Bäume in seinem Inneren beherbergt! Der Respekt vor der Natur und der Umwelt war auch der Grund für den Bau eines der symbolträchtigsten Gebäude von Mauritius: die Mauritius Commercial Bank, ein elliptisches, transparentes Schiff des Architekten Jean-François Koenig und das erste zertifizierte grüne Gebäude der Insel.

Viele Architekten wie Jean-François Koenig oder Henriette Valentin, die sich gegen die Verbreitung von energieintensiven Würfelhäusern mit Flachdächern auf vegetationslosen Grundstücken wehren, fördern in ihren Bauten die Errungenschaften des kreolischen Wohnens - Frische, Belüftung und Licht - und lassen es sich nicht nehmen, ihre Entwürfe mit der traditionellen Varangue auszustatten. Henriette Valentin ist eine Schlüsselfigur der zeitgenössischen Architektur auf der Insel. Sie ist unter anderem für die Entwicklung der Smart-City Beau-Plan verantwortlich. Bis 2030 sollen auf Mauritius elf Smart-Cities entstehen, d. h. urbane Einheiten, die durch bessere Verkehrsnetze und hochwertige Dienstleistungen eine höhere Lebensqualität bieten und gleichzeitig eine unabhängige Wasser- und Energieversorgung entwickeln sollen. Diese Projekte haben die Aufmerksamkeit der Ecole d'Architecture de Nantes geweckt, die einen Campus auf dem Gelände der Smart-City Medina unweit von Flic-en-Flac eingerichtet hat. Bis 2025 sollen dort nicht weniger als 5.000 Studierende untergebracht werden. Wetten, dass es diesen nicht an originellen und nachhaltigen Ideen mangeln wird, um die Perle des Indischen Ozeans weiterhin zum Leuchten zu bringen!